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Ist Insulin ein Masthormon Teil 2

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Heute wirst du erfahren:

  • Sollten Insulinspitzen vermieden werden, weil sie uns alt und krank machen? 
  • Der Job von Insulin ist zu steigen und wieder zu fallen!
  • Die Kalorienbilanz zählt und nicht die Blutzuckerkurve
  • Praktisches Fazit für deine Ernänhrungspraxis

Machen uns Insulinspitzen alt und krank?

Da dies lautstark von nicht wenigen Ärzten, Wissenschaftsjournalistinnen und vielen weiteren Stimmen gebetsmühlenartig wiederholt wird, haben sich inzwischen diese Überzeugungen bei vielen als gegeben verfestigt.

 

Ein gutes Beispiel dafür ist Jessie Inchauspé, die sowohl im Netz als auch mit Büchern dafür wirbt, die Glukosekurve abzuflachen, denn das würde uns gesünder machen. Oder ähnlich suggeriert das Quarks-Video „Was passiert wirklich, wenn du auf Zucker verzichtest?“, dass wir bei der Nahrungsauswahl gezielt darauf achten sollten, dass die Glukosekurve möglichst flach verlaufen sollte. Als Handlungsempfehlung werden dann Hacks und Tricks empfohlen, wie wir durch die richtige Lebensmittelauswahl, Reihenfolge und Aktivität weniger Insulin ausschütten.

 

Da mittels kontinuierlicher Messung des Glukosespiegels das Auf und Ab des Blutzuckers sichtbar wird, suggerieren diese Grafiken, dass wir beim Essen vor allem auf eine flache Glukosekurve achten sollten. Seit einigen Jahren lässt sich über einen kleinen Sensor am Oberarm nahezu in Echtzeit auf dem Handy der Blutzuckerspiegel darstellen. Das ist bei Diabetes ein großartiges Werkzeug, weil so der Blutzuckerspiegel permanent kontrolliert werden kann und so Über/-Unterzucker verhindert wird.

 

Die Frage ist allerdings, ob das auch für stoffwechselgesunde Menschen gilt. Wann nützt dieses Wissen und wann führt es auf den Holzweg? Nachfolgend will ich dafür werben, dass die Ausrichtung unseres Essverhaltens am Blutzuckerspiegel nur sehr eingeschränkt gültig und mit Vorsicht zu genießen ist. 

Der Job von Insulin ist zu steigen und wieder zu fallen!

Hat es einen gesundheitlichen Benefit, wenn unser Blutdruck möglichst niedrig ist? Aus der Angst vor der Volkskrankheit Bluthochdruck, die tatsächlich der mit Abstand größte Risikofaktor für Herz-Kreiserkrankungen ist, könnten wir nach der gleichen Logik folgern, dass auch blutdrucknormale Personen vorbeugend einen möglichst niedrigen Blutdruck anstreben sollten. Aber nicht umsonst definieren wir einen Blutdruck von 120 zu 80 mmHG als normal und optimal. Und so wie ein kreislaufgesunder Mensch bei Belastung mit einem steigenden Blutdruck reagiert, sollte dementsprechend auch das Insulin nach dem Essen insbesondere von Kohlenhydraten ansteigen. Und nach der erhöhten Aktivität sollten sowohl der Blutdruck als auch die Insulin- bzw. Glukosewerte wieder zügig auf die physiologischen Normwerte fallen. 

 

So wie beim Blutdruck skizziert, kann es nicht an sich um einen möglichst niedrigen Blutzuckerspiegel gehen, sondern darum, dass dieser innerhalb der physiologischen Normwerte schwankt. Wenn aber stets von einer möglichst geringen Blutzuckerwert gesprochen wird, transportiert das ein falsches Verständnis eines gesunden Stoffwechsels. Dabei entsteht der Eindruck, dass es darum ginge, möglichst wenige Kohlenhydrate zu essen, umso weniger Insulin auszuschütten. Aber da Insulin viele wichtige Aufgaben in unserem Organismus hat, ist die entscheidende Frage vielmehr, wie gut das Insulin in unserem Körper wirkt oder wie sensitiv die Rezeptoren in den Muskel-, Fett-, Leber-, und Hirnzellen darauf reagieren.

 

Wie sonst könnten wir erklären, dass Sportler mit sehr hohem Kohlenhydratverzehr, wie Ausdauerathleten und Fußballerinnen, einen sehr leistungsfähigen Stoffwechsel und ausgesprochen insulinsensitiv sind? Wenn Kohlenhydrate an sich das Problem wären, dann müsste diese Gruppe sehr schnell krank werden. Und warum werden sie es nicht? Weil der Körperfettanteil in einem sehr günstigen Bereich liegt und der Stoffwechsel sehr leistungsfähig ist. Dadurch haben die Muskeln und Organe eine höhere aerobe Kapazität, also mehr Energie pro Zeit aus Zucker und Fett herzustellen. Wie bereits in Teil 1 erklärt, sind das die beiden wesentlichen und beeinflussbaren Faktoren, die über unsere Insulinsensitivität entscheiden.

 

Also ganz einfach: Je geringer der Körperfettanteil, je mehr Muskeln und je höher die aerobe Leistungsfähigkeit, umso sensitiver reagiert Insulin in den Zellen, so dass entsprechend weniger Insulin für die gleiche Menge Kohlenhydrate ausgeschüttet wird. Das ist der Grund, warum stoffwechselgesunde Personen selbst bei hohem Kohlenhydratverzehr, viel weniger Insulin als insulinresistente Menschen brauchen. Und das gilt sogar dann noch, wenn die zweite Gruppe ihren Kohlenhydratverzehr deutlich einschränkt, denn das ändert nicht automatisch etwas an der fehlenden Wirksamkeit des Insulins.

 

Die Sensitivität des Insulins ist einfach ein Spiegelbild der Energiespeicher und der Leistungsfähigkeit der Infrastruktur. Und nur wenn wir fitter werden und Körperfett verlieren, dann verbessert sich die Wirkung des Insulins nachhaltig. Die Forschung hat gezeigt, dass bereits wenige Tage mit einer negativen Kalorienbilanz die Wirkung des Insulins messbar verbessert. Und eine Gewichtsreduktion von 10-15% des Körpergewichts führt bei vielen Diabetikern zu einer vollständigen Remission ihrer Symptome, so dass die Zucker- und Insulinwerte wieder in den Normalbereich sinken.

Die Kalorienbilanz zählt und nicht die Blutzuckerkurve

Wenn die Abflachung der Blutzuckerkurve entscheidend für den Auf- und Abbau unserer Energiespeicher wäre, dann müsste der Mehrverzehr von fetthaltigen gegenüber kohlhydratreichen Lebensmitteln schlank machen, weil eine anteilige Erhöhung von Fetten die Insulinausschüttung reduziert. Das ist aber nicht der Fall, denn entscheidend für den Auf- und Abbau des Körperfetts ist die Energiebilanz. Nur weil weniger Insulin ausgeschüttet wird, heißt das logischerweise nicht, dass deshalb die aufgenommenen Fettsäuren dadurch weniger Energie hätten. 

 

Insulin hat aber eine andere wichtige Funktion: Wie in dem obigen Beispiel signalisiert es die Verfügbarkeit von Kohlenhydraten, so dass dies die anteilige Nutzung von Kohlenhydraten oder Fettsäuren zur Energiegewinnung regelt. Da der menschliche Körper nur einige Hundert Gramm Kohlenhydrate speichern kann, führt eine hohe Verfügbarkeit von Kohlenhydraten nach dem Essen zu einer verstärkten Zuckerverbrennung. Und umgekehrt erhöht eine längere Nahrungskarenz z. B. nachts die Verstoffwechselung von Fettsäuren, damit der Zucker aus der Leber länger für die auf Zucker angewiesen oder bevorzugenden Organe hält.

 

Darüber hinaus hat Insulin viele weitere wichtige Aufgaben in unserem Körper, die es nur erfüllen kann, wenn die Wirkung an den Rezeptoren hoch ist. Deshalb führt die generelle Vermeidung von Kohlenhydraten und nachfolgend Insulin in die Irre, denn nur wenn das Insulin eine hohe Wirksamkeit besitzt, entfaltet es seine positiven Wirkungen im Körper. Genau das ist das zentrale Dilemma bei einer Insulinresistenz: Obwohl das Blut zu viele Nährstoffe enthält, sind die Zellen unterversorgt! Das liegt daran, dass das Insulin nicht mehr ausreichend wirkt, so dass die Nährstoffe nicht mehr in die Zellen gelangen können. 

 

Bei der Berichterstattung über Insulin wird aber leider oft der Eindruck erweckt, dass Insulin an sich schlecht wäre und deshalb ein reduzierter Kohlenhydratverzehr generell zu empfehlen sei. Und noch schlimmer werden Empfehlungen für stoffwechselkranke Menschen auch für gesunde Personen zur Norm erklärt. Das ist aber völlig abwegig, weil Insulin neben seiner anabolen Wirkung und Steuerung des Blutzuckerspiegels auch länger satt macht. Ein erhöhter Blutzucker- und Insulinspiegel verursacht also vor allem bei Insulinresistenz Heißhunger, während bei Gesunden dies die Zellen des Hunger- und Sättigungszentrum im Hypothalamus als sättigend verrechnen.

Praktisches Fazit für deine Ernährungspraxis

Statt also die Blutzuckerkurven abflachen zu wollen, kommt es darauf an, dass der Körperfettanteil in einem gesunden Bereich liegt oder sich in diese Richtung bewegt. Dagegen ist es irrelevant, ob ihr dafür primär die Kohlenhydrate oder Fette oder beides einschränkt. Es die Ernährung am bestem, mit der euch das am besten gelingt. Und in dieser Gleichung darf nicht eine angemessene Aktivität unserer Muskeln und damit des Stoffwechsels fehlen, denn die Evolution hat unsere Körper so gestaltet, dass wir regelmäßig unseren Körper gebrauchen müssen, damit die energieverbrauchenden Systeme leistungsfähig bleiben.

 

Wer das tut, braucht sich keinen Kopf über Glukose- oder Insulinkurven zu machen, denn das regelt euer Stoffwechsel für euch. 

 

Im nächsten Teil dieser Serie widmen wir uns der Leber. Sie das zentrale Stoffwechselorgan und unsere Türsteherin. Sie schafft Ordnung und solange sie gesund ist, braucht ihr vor Bananen und Pfannkuchen keine Angst zu haben. 

 

Quelle: Hahn, Ströhle, Wolters. Ernährung - Physiologische Grundlagen, Prävention, Therapie. 4. Auflage. Kapitel 24.5 Metabolisches Syndrom.

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