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Die Leber – Die Türsteherin zu deiner Welt


Die Leber – Die Türsteherin zu deiner Welt?

Im gesamten Blut eines Menschen sind gerade einmal ein guter gestrichener Teelöffel Traubenzucker gelöst. Wenn dieser Wert nur auf die Hälfte fällt, werden wir ohnmächtig, weil unsere Gehirnzellen permanent auf eine Versorgung mit Energie angewiesen sind. Und wenn umgekehrt das Blut nur etwas mehr als 2 -4 Gramm Traubenzucker zusätzlich aufnimmt, liegt der Blutzuckerspiegel bereits außerhalb der Normwerte eines Gesunden. 

 

Warum führt also der Verzehr von kohlenhydrathaltigen Speisen, wie z. B. 100 Gramm Vollkornbrot, nicht zum Entgleisen des Blutzuckerspiegels? Diese Menge Vollkornbrot enthält ungefähr 40 Gramm Traubenzucker und ist damit um ein Vielfaches höher als der Blutzuckerspiegel steigen darf. 

 

Das regelt unsere Leber für uns, die als zentrales Stoffwechselorgan maßgeblich für die Aufrechthaltung des Blutzuckerspiegels zuständig ist. Die über die Nahrung aufgenommenen Kohlenhydrate werden im Dünndarm als Traubenzucker-Moleküle aufgenommen und gelangen über die Pfortader zur Leber. Je nach Bedarf und Kapazität werden die Kohlenhydrate dort gespeichert, direkt verbraucht und in der passenden Menge ins Blut abgegeben. Dabei steigt bei einem Gesunden der Blutzuckerwert nahezu unabhängig von der aufgenommen Kohlenhydratmenge nur auf ca. 140 – 180 mg pro Deziliter Blut. Oder anders formuliert werden davon nur wenige Gramm gleichzeitig freigesetzt. 

 

In unserem Körper müssen unzählige chemische Gleichgewichte mit einer sehr geringen Streuung aufrechthalten werden, damit günstige Bedingungen für die Zellen herrschen. Dies geschieht beim Blutzuckerspiegel durch das komplexe Zusammenspiel der Hormone, die entweder den Blutzuckerspiegel mit Hilfe des Insulins senken oder umgekehrt Traubenzucker durch die Gegenspieler wie Glukagon oder die Stresshormone Adrenalin und Noradrenalin freisetzen. Der zentrale Ort für diese Regulation ist die Leber, weil nur dort ein Reservoir von ungefähr 100 -150 Gramm Traubenzucker zur Verfügung steht und jederzeit zur Aufrechterhaltung des Blutzuckerspiegels genutzt werden kann. Der Großteil der von der Leber aufgenommenen Kohlenhydrate werden auch nicht direkt in den Blutkreislauf abgegeben, sondern als Leberglykogen oder für andere Aufgaben verwendet. Dagegen können die in den Muskeln gespeicherten Vorräte an Glukose nicht wieder ins Blut abgegeben werden, weshalb nur die Leber die lebenswichtige Versorgung der auf Glukose angewiesenen Zellen sicherstellen kann. 

 

Da der Vorrat an Glukose in der Leber nur für maximal einen Tag reicht, kann die Leber selbst Traubenzucker herstellen. Allerdings ist dieser Stoffwechselweg in seiner Leistung limitiert und benötigt Protein, dass entweder aus der Nahrung oder den eigenen Muskeln stammt. Kohlenhydrate sind also nicht in dem Sinne essenziell, dass wir ohne Zufuhr nicht überleben könnten, aber aus der oben beschriebenen Perspektive sind sie sogar so essenziell, dass unabhängig von der Zufuhr von Glukose die Aufrechterhaltung des Blutzuckerspiegels stets durch den eigenen Stoffwechsel gewährleistet wird. Und wenn nach ungefähr einem Tag des Fastens die Vorräte an Leberglykogen zuneige gehen, dann hat die Versorgung des Gehirns mit Traubenzucker Vorrang vor den Muskeln, die dafür in der Leber zu Treibstoff umgebaut werden. Nur weil etwas nicht essenziell ist, bedeutet das also nicht, dass eine angemessene Versorgung nicht besser wäre als eine unzureichende Zufuhr mit Kohlenhydraten.

 

Fazit: Die Leber ist das zentrale Organ des Kohlenhydratstoffwechsels und übt eine Pufferfunktion zur Aufrechterhaltung des Blutzuckerspiegels aus. Es ist also nicht so, dass die aufgenommene Menge an Kohlenhydraten proportional den Blut- und damit Insulinspiegel steigen lassen würde. Unsere Körper sind keine Knete, in denen z. B. kohlenhydrathaltige Lebensmittel direkt ihre Abdrücke hinterlassen. Stattdessen erzeugen sie ihre eigene biochemische Ordnung, um möglichst unabhängig von den äußeren Bedingungen die notwendigen inneren Gleichgewichte zu erhalten, wie z. B. bei der Körpertemperatur, dem Blutdruck, dem Wasserhaushalt und unzähligen weiteren Systemen. 

 

Deshalb geht auch die Vorstellung von gesunden und ungesunden Lebensmitteln in die Irre, weil dadurch Gesundheit primär als ein passiver Vorgang missverstanden wird. Stattdessen stellt unser Stoffwechsel Gesundheit aktiv her, indem er zuerst körperfremde Strukturen in einzelne Rohstoffe abbaut und danach in körpereigene Strukturen umwandelt. Das besondere Kennzeichen des Lebens ist seine von der Außenwelt unabhängige biochemische Organisation, um seine eigene Entität aufrechtzuerhalten. 

Diese Perspektive bietet auch eine wertvolle Perspektive, um das Kontinuum von Gesundheit und Krankheit zu verstehen. Auch dafür bietet die Blutzuckerregulation ein anschauliches Beispiel, denn je Insulinresistenter die Leber und weitere Organe werden, umso mehr gerät die Fähigkeit zur Homöostase verloren, so dass der Blut- und Insulinspiegel nicht mehr so flexibel, schnell und fein reguliert werden. In der Folge mehren sich die Zeiten, in denen der Stoffwechsel nicht mehr unabhängig von den äußeren Bedingungen günstige Lebensbedingungen aufrechthalten kann, so dass sich in langen Zeiträumen Erkrankungen der Blutgefäße und Organe entwickeln. 

Praktisches Fazit

Wer keinen (Prä-)Diabetes hat, sollte sich nicht um die glykämische Last von Lebensmitteln sorgen, sondern vor allem die Kaloriendichte der Nahrung im Auge behalten. Die Kaloriendichte berücksichtigt nämlich sowohl die Menge an Kohlenhydraten als auch die Energie aus Fetten und Proteinen. Deshalb ist die Kaloriendichte besser als die glykämische Last geeignet, um durch eine ausreichende Nahrungsmenge genügend satt zu werden und die passende Energiemenge aufzunehmen. Wer eine gesunde Leber hat, braucht sich nicht um die Menge an Kohlenhydraten scheren, denn das ist ihr Job als Türsteherin des Blutkreislaufs.

Quelle: Hahn, Ströhle, Wolters. Ernährung - Physiologische Grundlagen, Prävention, Therapie. 4. Auflage. Kapitel 3.6 Stoffwechsel der Kohlenhydrate. 

Quelle: Hahn, Ströhle, Wolters. Ernährung - Physiologische Grundlagen, Prävention, Therapie. 4. Auflage. Kapitel 3.6 Stoffwechsel der Kohlenhydrate.

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